IT ORGANISATION 2025 INTERVIEW MIT VOLKER LANG CIO @ THYSSENKRUPP STEEL

„Die IT hat kein Monopol auf Digitalisierung“

Das Zusammenspiel zwischen Business und IT ist ein Mannschaftssport, der nur gelingt, wenn man partnerschaftlich und auf Augenhöhe zusammenarbeitet. Wie das bei thyssenkrupp Steel funktioniert, erklärt Volker Lang, CIO & Head of Digital Solutions bei thyssenkrupp Steel, im Gespräch mit Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau Management Consultants GmbH.

Volker Lang, CIO & Head of Digital Solutions bei thyssenkrupp Steel

Thomas Heinevetter: Für die IT der Zukunft sind verschiedene Szenarien denkbar: Komplette Verschmelzung von IT und Business, starke Verschmelzung, Teilverschmelzung, hybrid. Wohin geht der Trend bei thyssenkrupp Steel?

Volker Lang: Die IT-Organisation wird bei thyssenkrupp Steel nicht verschwinden. Denn das Unternehmen hat kein digitales Geschäftsmodell, vielmehr wird ein Schwerindustriegeschäftsmodell digitalisiert. Das heißt: Zu meistern ist ein Spagat aus Agilität und Stabilität. Unsere Linienorganisation inklusive Infrastruktur, Plattformen und Plattformprodukten gewährleistet diese notwendige Stabilität. Darüber liegt eine virtuelle Organisation, unsere sogenannten „Digitalen Domänen“, in denen wir das Business mit ins Boot holen, unterschiedliche Kompetenzen zusammenbringen und eine hohe Agilität erreichen.

Heinevetter: Was zeichnet den Digitalbereich „Digital Solutions“ aus?

Lang: Wie viele Produktionsunternehmen, haben auch wir unser Geschäft heute funktional organisiert. Die einzelnen Funktionsbereiche verantworten dabei bestimmte Prozessschritte entlang unserer Wertschöpfungskette. Die Wertschöpfung selbst entsteht aber natürlich immer End to End. Um eine unternehmensweite Transparenz und Steuerungsfähigkeit zu erreichen, ist es deshalb wichtig, einzelne Funktionen in digitale End to End-Prozesse zu integrieren und aus den vielseitigen funktionalen Perspektiven auf unser Geschäft, datentechnisch ein holistisches Gesamtbild entstehen zu lassen. Beides erreichen wir durch die bei Digital Solutions bereitgestellten Plattformen und Produkte, welche wir als Solutions bezeichnen – wir bereiten so den Weg in Richtung eines datengetriebenen Unternehmens.

Heinevetter: Was sind die Voraussetzungen für Produktorientierung?

Lang: Transformation und Digitalisierung werden nicht nur durch den IT-Bereich vorangetrieben. Neben den klassischen IT-Skills sind Prozesskompetenz und die Nähe zum Business absolute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Produktorientierung. In unseren Digitalen Domänen arbeiten virtuelle Teams aus Mitarbeitenden der IT und des Business deshalb gemeinsam an Produktlösungen und verfügen als Gruppe über ein klares Verständnis von Prozessen, Daten und über den Wert der Daten.

Heinevetter: Steht diese Produktorientierung in allen Digitalen Domänen im Vordergrund?

Lang: Heute gibt es bei uns vier digitale Domänen: Produktion, Performance, Mitarbeiter und Markt & Kunde. Technische Startvoraussetzungen und Herausforderungen sind unterschiedlich, aber für alle vier Felder wurde der Hebel in Richtung Produktorientierung zeitgleich umgelegt. Denn unabhängig von der Ausgangssituation: wenn Prozesse digitalisiert und Zusammenarbeit optimiert werden soll, muss man sich auch miteinander über die Herausforderungen verständigen, Einigkeit über das Ziel erreichen und sich über den Weg dahin klar werden.

Heinevetter: Gibt es auf der Businessseite unterschiedliche Reifegrade?

Lang: Es gibt einen unterschiedlichen Reifegrad in der Technologie. In einigen Bereichen haben wir bereits moderne Cloud-Plattformen ausgerollt. Das erleichtert sowohl die Zusammenarbeit mit strategischen Partnern als auch ein agiles Vorgehen. Andere Bereiche sind noch mitten in dieser Transformation. Auch auf der menschlichen Ebene gibt es natürlich ganz unterschiedliche Voraussetzungen in Sachen Qualifikation und Affinität zu digitaler Technologie. Das ist normal, wir sind dazu im Dialog – und das ist das Fundament für ein gemeinsames Verständnis.

Heinevetter: Wie beeinflussen Citizen Developer oder die Bereitstellung von No-Code- oder Low-Code-Plattformen die Zusammenarbeit?

Lang: Die IT hat kein Monopol auf Digitalisierung. Ich persönlich freue mich, wenn Kolleginnen und Kollegen in den Fachbereichen die Digitalisierung in ihrem Umfeld aktiv vorantreiben. Diese Energie sollten wir aber in geordnete Bahnen lenken, damit die entstehenden Lösungen auch nachhaltig erfolgreich sind. Dabei sind dann neben der reinen Funktionalität auch Themen wie Security-, Skalierbarkeit, Updatefähigkeit oder der Support zu berücksichtigen. An dieser Stelle kommen dann unsere Plattformen ins Spiel. Wichtig ist hierbei, frühzeitig ins Gespräch zu kommen.

Heinevetter: Nutzt das Business solche Plattformen?

Lang: Wir haben ein Innovationsteam, das Trends, Innovationen und Weiterentwicklungen im Auge hat und Ideen der Mitarbeitenden sammelt, prüft und gegebenenfalls umsetzt. Demokratisierte IT muss liefern können, weil die Nachfrage sonst einen anderen Kanal findet.

Heinevetter: Konkurrieren die Demands der Fachbereiche mitunter um die Ressourcen?

Lang: Natürlich, denn wir haben bei weitem mehr gute Ideen, als wir gleichzeitig umsetzen können. Ein Engpass zu sein ist nicht unsere Lieblingsrolle, doch auch dem kann man etwas Positives abgewinnen:  Die so erforderliche Priorisierung führt auch dazu, dass wir unser Portfolio nach Kategorien wie Strategiebeitrag, wirtschaftlichem Nutzen oder technischer Notwendigkeit klar bewerten. Wir als IT verantworten oft den Großteil der für die Projekte eingesetzten Ressourcen – aber der Nutzen entsteht im Business. Deshalb findet auch diese Abwägung gemeinsam in den Digitalen Domänen statt. Wir wollen dem Kunden nicht sagen, was er braucht oder nicht, aber wir können moderieren und zum Erkenntnisgewinn auf der Business-Seite beitragen.

Heinevetter: Was sind Kriterien für ein erfolgreiches Produktteam?

Lang: Produktteams sind dann erfolgreich, wenn die Mitglieder Verantwortung für den Geschäftsprozess, die Applikation und die Daten haben. Wenn das Produktteam diesen Dreiklang beherrscht und sich nicht nur um Applikationen kümmert, sondern auch um sämtliche Daten, die im Prozess entstehen, dann können aus diesen Daten gewonnene Erkenntnisse leichter in das Produkt und in den Prozess zurückfließen und die Entscheidungsfindung im Business besser unterstützen.

Heinevetter: Welche Rollen sind dabei strategisch relevant?

Lang: Wichtig sind Business Analysten, die den Prozess verstehen, Experten, die die Daten verstehen, Software- und Solution-Architekten, die helfen, dieses Problemverständnis auf das Lösungsportfolio unserer Plattformen abzubilden, und natürlich der Product-Owner, der das Ergebnis dem Kunden gegenüber verantwortet. Außerdem können externe, strategische Partner als weitere Teammitglieder einbezogen werden.

Heinevetter: Wie wird sich die Rolle des Demand Managers entwickeln oder verändern?

Lang: Das Grundmodell von Angebot und Nachfrage beim Demand Manager resultiert aus einer Lieferanten-Kunden-Beziehung, die nicht exakt eine Partnerschaft auf Augenhöhe darstellt. Unser Ziel jedoch sind Teams, die einer gemeinsamen Mission folgen. Und dann braucht es keinen Demand Manager mehr – die Anforderung entsteht im Dialog und in der Zusammenarbeit.

Heinevetter: Wer kümmert sich um teamübergreifende Demands?

Lang: Bei teamübergreifenden Demands steigt natürlich der Abstimmungsbedarf. Um dem Rechnung zu tragen, setzen wir für das Management großer Programme deshalb auf dedizierte und erfahre Programmmanager. Viele dieser übergreifenden Themen mit hohem Impact sind direkt aus der Unternehmensstrategie abgeleitet. Damit lässt sich Priorisierung, Team-Ausstattung und gewünschtes Ergebnis in den Strategieprozess verlegen. Auch hier ist Dialog gefragt. Dieser findet beispielsweise zweimal im Jahr im ´Digital Transformation Committee´ im Zyklus des Strategieprozesseses statt. Der Führungskreis geht das komplette Portfolio durch und stellt sich die Fragen nach Businessstrategie, Top-Digitalthemen und Reihenfolge.

Heinevetter: Damit die dynamische Zuordnung von Kompetenzen erfolgreich ist, muss man sich auch organisatorisch entsprechend aufstellen. Spotify hat es vorgemacht, indem das Unternehmen People Lead vom fachlichen Lead trennt. Wie geht thyssenkrupp Steel damit um?

Lang: Selbst, wenn wir das Spotify-Modell kopieren wollen würden, wären Begriffe wie Tribes, Squads und Chapter keine Option. Wir bei thyssenkrupp Steel nutzen die unterschiedlichsten Elemente aus modernen Organisationsmodellen. Dabei orientieren wir uns an verschiedenen Modellen und übernehmen nicht zwangsläufig die in den Modellen genutzten Begrifflichkeiten. Vielmehr legen wir Wert darauf, dass die eingeführten Elemente, ganz unabhängig ihrer Begrifflichkeiten, uns als Organisation helfen und uns weiter voranbringen. So nutzen wir beispielsweise die Objective-Key-Results Methodik, um organisationsweit abgestimmt in linienübergreifenden Teams strategisch relevante Themen in mehrmonatigen Sprints zu bearbeiten.

Heinevetter: Welchen Einfluss hat die Entwicklung zum datengetriebenen Unternehmen auf die Struktur der Organisation? Wird es eine eigene Data-Organisation innerhalb des Unternehmens geben, die alle relevanten Prozesse rund um das Thema Data Lifecycle verantwortet?

Lang: Ja, das Data-Lifecycle-Management sollte jedoch von einer zentralen Stelle ausgehen, die einheitliche Standards und Regeln einer Data Governance festlegt. Auch ein Chief Data Officer könnte hier etabliert werden, der Standards definiert, vermittelt und fördert. In unserer Organisation wären einige dieser Aufgaben vermutlich gut in den Digitalen Domänen und damit nah am Business aufgehoben. Hier sind wir gerade mitten in der Transformation.

Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau

Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau

Heinevetter: Wir haben vier Funktions- bzw. Prozess-Cluster für dieses Thema definiert: Data Governance, Data Management, Analytics/Data Science und Data Infrastructure. Wo gibt es bei thyssenkrupp Steel den größten Handlungsbedarf?

Lang: In Sachen Plattform treiben uns aktuell vor allem zwei Themen um: Das Data Management und die Datennutzung stärker in Richtung Business und Produktteams zu verlagern und die hierfür erforderliche Datenkompetenz aufzubauen sowie die Überführung von Data Lake und Data Warehouse, die on premise aufgebaut wurden, in eine Standard-Cloud-Plattform.

Heinevetter: Wo befinden Sie sich aktuell im Transformationsprozess?

Lang: Unsere Digitale Transformation lässt sich über drei Phasen beschreiben. Die erste Phase hat vor über zehn Jahren begonnen. Damals haben wir mit großen Projektprogrammen die technischen Voraussetzungen für die Digitalisierung geschaffen:  Konzeption, flächendeckender Ausbau von Edge Data Center, Roll Out neuer Fertigungsleitsysteme, ERP-Harmonisierung bis hin zur flächendeckenden Einführung von Microsoft365. Das ist die Voraussetzung für eine leichtgewichtige agile Digitalisierung. Seit Beginn der zweiten Phase denken wir das Thema ganzheitlicher und sehen es nicht mehr nur aus einer technologischen Brille: Die Digitalisierung ist auch eine Herausforderung für die gesamte Organisation. Wir müssen die Menschen mitnehmen und die anstehenden Veränderungen gut erklären. Außerdem wurde ein Innovation Lab gegründet. Hier geht es darum, innovative Ideen zunächst in einem experimentellen Umfeld auszuprobieren. Dabei wird in kurzer Zeit ein Prototyp entwickelt, der die wichtigsten Anforderungen erfüllt, um damit Erkenntnisse im Feld zu gewinnen. Hierbei ist es auch in Ordnung, wenn der Prototyp es nicht bis zur Realisierung im Arbeitsalltag schafft – ganz im Sinne einer modernen Fehlerkultur. In Phase drei – im Rahmen der Strategie 20-30 – müssen wir nun gemeinsam mit dem Business die technischen Möglichkeiten und erworbenen Fähigkeiten einsetzen, um den größtmöglichen Mehrwert zu generieren.

Heinevetter: Was sind die Top-3-Handlungsfelder?

Lang:

  1. Wir als Digital Solutions müssen uns auf unsere Kernkompetenzen fokussieren und eine leistungsfähige Digitaleinheit innerhalb von thyssenkrupp Steel bauen.
  2. Dafür werden wir den Schwerpunkt auf Standards und Cloud-Technologien setzen und Komplexität über Bord werfen.
  3. So wird es dann leichter gelingen, strategische Partner an Bord zu nehmen, die mit ins unternehmerische Risiko gehen und die uns dann die Fähigkeit geben zu skalieren, damit wir unser Leistungsversprechen an das Business halten können. Dieses lautet: Wann immer es ein werthaltiges Thema gibt, sind wir zur Stelle, um es gemeinsam umzusetzen.

Volker Lang ist bei der thyssenkrupp Steel Europe AG als CIO verantwortlich für IT-Organisation und die Digitale Transformation des Unternehmens. 2005 startete er nach seinem Wirtschaftsinformatikstudium an der Universität Duisburg-Essen seine Karriere als Softwareentwickler beim Stahlhersteller in Duisburg. Nach unterschiedlichen Stationen als Teamleiter mit den Schwerpunkten Softwareentwicklung, IT-Architektur und digitaler Transformation bekleidet Volker Lang seit Mai 2022 das Amt des CIO & Head of Digital Solution bei thyssenkrupp Steel.

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