IT ORGANISATION 2025 INTERVIEW MIT ANDRE WEHNER CIO @ MAN TRUCK AND BUS

„Wenn sich die IT nicht intensiv um das Thema Daten kümmert, wird sie Konkurrenz bekommen“

Mit Andre Wehner, CIO bei MAN Truck & Bus, sprach Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der Managementberatung kobaltblau, über die Zusammenarbeit zwischen IT und Business, Produkt-IT, den Umgang mit Daten und die spezifischen Herausforderungen der digitalen Transformation bei MAN Truck & Bus.

Andre Wehner, CIO der MAN Truck & Bus

Thomas Heinevetter: Wie wird sich die Zusammenarbeit zwischen der IT-Organisation und dem Business in den kommenden fünf Jahren verändern? Sie können zwischen vier Szenarien wählen. 1. IT und Business verschmelzen vollständig miteinander. Integrierte Teams arbeiten produktorientiert. 2. Die IT zerfällt in zwei Teile. Der eine Teil verschmilzt wie in Szenario 1 mit dem Business, der andere Teil bildet eine Plattform IT. 3. Die IT verschmilzt zum Teil mit dem Business und organisiert sich als Produkt-IT, in der Business und IT in virtuellen Teams zusammenarbeiten. Außerdem bleibt die IT Plattform-Provider. 4. Das vierte Szenario ähnelt sehr der heutigen IT-Organisation. Es ist ein Hybridmodell, in dem es zwar virtuelle Teams aus Business und IT gibt, aber eben auch klassische Plan-Build-Run Elemente. Welches der vier halten Sie für das Wahrscheinlichste?

Andre Wehner: Das hängt sehr vom jeweiligen Unternehmen ab. Bei reinen Technologieunternehmen halte ich eine komplette Verschmelzung für sehr gut vorstellbar. Für unser Unternehmen würde ich das Szenario 3 als Ziel formulieren. Business und IT müssen künftig viel enger zusammenarbeiten und viel voneinander lernen. Dafür erscheinen virtuelle gemischte Teams ideal zu sein. An eine komplette Verschmelzung glaube ich für Industrieunternehmen weniger, weil noch zu häufig zwischen den Unternehmensbereichen ein Silodenken vorherrscht und noch keine End-to-End-Sicht, keine Durchgängigkeit und Fokussierung auf den Endkunden vorhanden ist.

Heinevetter: Gibt es Bereiche, in denen man mit virtuellen Produktteams eher starten könnte als in anderen?

Wehner: Wir haben im Sales- und Marketingbereich damit begonnen. Da sprechen IT und Business am ehesten die gleiche Sprache und wir konnten uns sehr schnell auf eine standardisierte IT-Plattform einigen. Eine allgemein gültige Regel gibt es aus meiner Sicht jedoch nicht.

Heinevetter: Gibt es Bereiche, die Sie für schwieriger halten?

Wehner: Gemischte virtuelle Teams sollten in jedem Bereich funktionieren. Vielleicht ist es in der Produktion ein bisschen komplizierter. Aber wenn beide Seiten das wollen, müsste das auch da klappen.

Heinevetter: Ein anderer Aspekt der Zusammenarbeit von Business und IT ist das Thema Citizen Development. Sehen Sie die Nutzung von Low-Code- oder No-Code-Plattformen durch Businessnutzer, die besagten Citizen Developer, für förderlich oder sehen Sie das als negativ? So wie früher die Schatten-IT negativ behaftet war?

Wehner: Schatten-IT als etwas Negatives zu betrachten kommt aus der IT-Denke der 80er Jahre, als wir hauptsächlich auf Mainframes unterwegs waren und die IT noch ein Closed Shop war. Heute wird eine IT scheitern, die sich nicht für die Bedürfnisse und die IT-Aktivitäten der Fachseite offen zeigt. Das heißt allerdings nicht, dass die Fachseite machen kann, was sie will. Es gibt gute Gründe für die Verantwortlichkeiten der IT. Denken Sie nur an eine übergeordnete Governance und IT-Security.

Heinevetter: Trotzdem geht es um das richtige Maß. Glauben Sie, dass das Thema Demokratisierung der IT und Aufbau von Citizen Developern im Fachbereich die richtige Art der Zusammenarbeit zwischen IT und Business fördert?

Wehner: Wenn Citizen Development offen und transparent miteinander abgestimmt ist, dann ist das sicher förderlich. Wenn das von der Fachabteilung als U-Boot-Ansatz gefahren wird, dann sicher nicht.

Heinevetter: Stichworte Produktorientierung und produktorientierte Teams. Viele Unternehmen beschäftigen sich zurzeit damit. Wie sehen Sie diese Themen und was sind aus ihrer Sicht die Erfolgsfaktoren, um Produktteams aufzustellen?

Wehner: Zunächst muss die Frage beantwortet werden, was mit Produktorientierung erreicht werden soll. Wenn es zum Beispiel um Standardisierung in der IT geht, kann Produktorientierung gut funktionieren. Im Business-Bereich muss man schon sehr genau hinschauen, was wirklich damit gemeint und bezweckt wird. Ich nehme wahr, dass die IT häufig noch klar mit der Wahrnehmung von Rollen und Verantwortung beauftragt werden möchte, bevor sie mit der Arbeit beginnt. Dieses Vorgehen halte ich für falsch. Der Erfolg stellt sich ein, wenn Business und IT vorher klären, was sie gemeinsam erreichen möchten und wer welche Rolle und Verantwortung übernimmt.

Heinevetter: Viele Unternehmen, die sich Richtung Produktorientierung bewegen, haben in den vergangenen Jahren ein Demand Management aufgebaut. Wie entwickelt sich das aus Ihrer Sicht weiter?

Wehner: Die Funktion wird weiterhin benötigt, allerdings auf einem übergreifenden Niveau. Es geht heute um mehr als mit einem Abteilungsleiter über die Realisierung einer bestimmten IT-Funktion zu diskutieren. Gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der Transformation muss das Demand Management klar verstehen, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln soll, welche Prioritäten gesetzt werden sollen und was es dafür benötigt.

Heinevetter: Klingt so, als wenn Demand Management sich mehr in Richtung Portfolio Management und Projektportfolio Management entwickelt. Wie wird letzteres künftig Ihrer Meinung nach funktionieren?

Wehner: Zunächst einmal braucht es einen klaren mittel- und langfristigen Plan. Das Unternehmen muss wissen, in welche Richtung es sich entwickeln möchte. Innerhalb dieses Rahmens kann sehr gern agil vorgegangen werden. Aber ohne Rahmen gibt es keine Richtung und ohne Richtung keine Struktur.

Thomas Heinevetter, kobaltblau

Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau

Heinevetter: Das Thema Daten wird zunehmend erfolgskritisch. Wie stark wird die sogenannte Data Driven Organisation die IT verändern? Wird es einen Chief Data Officer geben? Wird sich rund um das Thema Daten eine ähnliche Organisation entwickeln, wie das beim Thema IT der Fall war?

Wehner: Wenn sich die IT nicht intensiv um das Thema Daten kümmert, wird sie Konkurrenz bekommen. Das heißt, wenn die IT das nicht aufgreift, werden sich andere Bereiche im Unternehmen darum kümmern. Ich bin selbst oft überrascht, wie wenig insgesamt mit Daten gearbeitet wird. Für strukturierte Daten stimmt das nicht, aber mit unstrukturierten Daten arbeiten wir viel zu wenig. Oft treffen wir unsere Entscheidungen nicht datenbasiert, sondern eher nach bestem Wissen und Gewissen. Dabei sind Daten und Technologien vorhanden, um Entscheidungen auf Datenbasis zu treffen.

Heinevetter: Welchen Reifegrad würden Sie Ihrem Unternehmen geben in Sachen Data Governance, Data Management, Data-Analytics/Data Science und Data Infrastructure? Und welche Handlungsfelder im Bereich Daten halten Sie für die wichtigen?

Wehner: Wie viele andere Industrieunternehmen auch, stehen wir in Sachen Daten am Anfang – gemessen an dem, was man heute mit einer Datennutzung erreichen kann. Wir haben heute außer bei den Kernprozessen und den strukturierten Daten weder ein progressives Datenmanagement noch eine fortschrittliche Analyse. Bei neuen Themen und unstrukturierten Daten tun wir uns noch schwer. Da müssen wir aber definitiv besser werden, weil diese Felder auch für unsere Kunden interessant sind. Wenn wir weiter in Richtung digitale Geschäftsfelder wollen, müssen wir definitiv unsere Datenskills massiv ausbauen.

Heinevetter: Welche Rolle spielt die IT bei MAN in Sachen Daten?

Wehner: Wir haben noch keine übergreifende Datenstrategie. Die entwickeln wir gerade erst, das gilt auch für die Verantwortlichkeiten.

Heinevetter: Wie geht MAN im Bereich Transformation vor? Favorisieren Sie den iterativen Ansatz in der IT oder im Business oder verfolgen Sie den Big-Bang-Ansatz und synchronisieren beide in einem gemeinsamen großen Schritt?

Wehner: In den ersten sechs Monaten als CIO habe ich Transparenz hergestellt, wo wir auf IT- und Fachseite gemeinsam stehen. Mein Fokus liegt jetzt darauf, wie wir das Unternehmen in Sachen Transformation weiterentwickeln werden. Das schlägt sich auch in der IT-Strategie nieder, die wir gerade neu erarbeiten. Darin definieren wir den Anspruch der IT und den der Fachbereiche, damit wir wissen, an welchen Stellen und mit welcher Geschwindigkeit wir die Themen vorantreiben können.

Heinevetter: Apropos Themen. Welches sind Ihre drei Tophandlungsfelder?

Wehner: Im Zentrum steht die IT-Strategie und ihr Alignment mit der übergreifenden neuen MAN-Strategie. Wir haben bei MAN Truck & Bus eine ganze gewaltige Transformation zu bewältigen. Meiner Ansicht nach ist die viel größer als im PKW-Bereich. Neben der Elektromobilität müssen wir uns auch intensiv mit autonomem Fahren befassen und mit digitalen Geschäftsmodellen. Für die IT kommt es darauf an, wie wir diese Transformation bestmöglich unterstützen können. Wenn das geklärt ist, geht es auch um das Modell der Zusammenarbeit von IT und Business, wer welche Rollen und Verantwortlichkeiten übernimmt.

Andre Wehner, 51 Jahre alt, begann seine berufliche Laufbahn 1993 bei ALCATEL. Nach rund 10 Jahren wechselte er zu Kabel Deutschland als CIO. Zu seinen weiteren beruflichen Stationen zählen E-Plus, AUDI und die VW Group, in denen er unter anderem als COO und CIO tätig war. Bei SKODA war er verantwortlich für die Unternehmensentwicklung und Digitalisierung. Seit 01.06.2021 ist Andre Wehner Chief Information Officer bei der MAN Truck & Bus SE.

 

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