IT ORGANISATION 2025 INTERVIEW MIT MARTIN HAURY GLOBAL HEAD OF IT @ IFM GROUP SERVICES

„Prozessverantwortung funktioniert nur, wenn ich aus IT und Business zusammengesetzte Teams habe“

Mit Martin Haury, Global Head of IT Business Services beim international agierenden Automatisierungsspezialisten ifm group services gmbh, spricht Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der Managementberatung kobaltblau darüber, wie sich IT und Business näher zusammenbringen lassen. Weitere Themen der Diskussion sind Produktorientierung, Datengetriebenheit und Transformation.

Martin Haury ifm

Martin Haury, Global Head of IT Business Services bei ifm group services gmbh

Thomas Heinevetter: Wie wird sich die IT-Organisation in den kommenden fünf Jahren verändern? Damit wir eine gemeinsame Denkgrundlage haben, skizziere ich kurz vier Szenarien. Im Szenario eins verschmelzen IT und Business komplett miteinander. Produktorientierte End-to-End Teams kümmern sich auch um die IT. Die Infrastruktur wird komplett von außen bezogen. Die übergreifende Governance erledigt ein kleines Team womöglich aus ehemaligen ITlern. Das zweite Szenario geht ebenfalls von einer kompletten Verschmelzung der Teams aus, doch die Infrastruktur wird als sogenannte Plattform IT noch von der IT-Organisation bereitgestellt. Im 3. Szenario, wir nennen es Produkt-IT, gibt es ebenfalls End-to-End Teams aus Business und IT. Doch diese Teams sind virtuell. Die IT bleibt in ihrer Struktur erhalten. Sie sorgt auch weiter für die Infrastruktur. Das Szenario 4 nennen wir hybride IT. In ihm ist die IT ähnlich aufgestellt wie heute. Es existieren zwar virtuelle End-to-End Teams, aber es gibt auch noch die nach Plan, Build und Run aufgeteilten Teams.

Martin Haury: Heute arbeiten wir im Szenario 4. Ausgewählte Teams, zum Beispiel bei den Presales-Applikationen oder im Sales Force Umfeld, arbeiten bereits End-to-End. In der SAP-Welt, in der das Gros unserer Applikationen residiert, sind wir noch sehr klassisch unterwegs. SAP unterstützt das Arbeiten in kurzen Zyklen und kleinen Teams nicht gut. Ich glaube, dass sich bei uns die IT-Organisation von Szenario 4 nach 3 und schließlich in Richtung Szenario 2 entwickelt. Die Entwicklungsgeschwindigkeit hängt auch davon ab, wie schnell sich eine Plattform IT entwickelt. Mit zunehmender Demokratisierung und mit Low- und No-Code-Plattformen entwickelt sich das eindeutig in diese Richtung.

Die Businessseite baut immer mehr eigene IT-Skills auf, zum Beispiel in der Supply Chain und im Vertrieb. Das Monopol der IT, Hüterin der Enterprise-IT zu sein, schwindet immer stärker. Zurzeit gibt es bei uns auf der Businessseite die Prozessverantwortlichen und die Key-User, aber ich sehe die Tendenz, dass die Bereiche selbst mehr IT-Projekte umsetzen wollen. Allerdings sehe ich in Bezug auf Compliance, Governance, Security und Enterprise Architecture noch einige Herausforderungen. Um diese Dinge kümmert sich das Business nicht so gern, da es den einzelnen Geschäftsbereichen keine schnellen Vorteile bringt, wenn das ganze IT-System effizient betrieben werden kann, sicher ist, Releasefähigkeit gewährleistet oder als Ganzes den rechtlichen Vorgaben entspricht. Zwischen IT und Business muss hier noch eine gemeinsame Sicht entwickelt werden. Es hilft, wenn die Kollegen im Business mit höherer IT-Affinität verstehen, dass einzelne Applikationen fast immer auch Auswirkungen auf die gesamte IT-Landschaft eines Unternehmens haben, auch wenn viele Services aus der Cloud bezogen werden. Wenn sie einen weiteren Blick entwickeln, dann können wir IT und Business auch näher zusammenbringen.

Heinevetter: In den oben erwähnten End-to-End Teams müsste auch eine End-to-End Verantwortung übernommen werden. Sehen Sie für jedes Team eigene Security- oder Architektur-Ressourcen?

Haury: Vermutlich würde das dann über Shared Services organisiert. Bei einer IT wie bei uns, mit 140 Vollzeit-Mitarbeitenden, kann nicht jedes Produktteam eigene Security- oder Architekturspezialisten haben. Wenn das gelingt, kann ich mir durchaus Szenario 2 als gelebte Realität vorstellen. Vorausgesetzt die Geschwindigkeit, mit der Skills nachkommen und neue Applikationen angeboten werden, bleibt so hoch wie zurzeit.

Heinevetter: Denken Sie, dass Low- und No-Code-Plattformen das Zusammenwachsen von IT und Business fördern?

Haury: Absolut! Mit den Low-Code-Plattformen kann man den Rahmen vorgeben und die Businessbereiche innerhalb dieser Vorgaben ihr Ding machen lassen. Gerade im Microsoft-Umfeld haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel hat einer der Entwicklungsbereiche mit den Power-Apps nur mit Hilfe eines Beraters seine eigene Applikation gebaut. Die administrieren diese auch selbst. Man muss jedoch differenzieren: Je stärker es Richtung Enterprise IT geht, je wichtiger Integration und Skalierung werden, desto eher bleiben die Dinge eine Domäne der Enterprise IT.

Heinevetter: Stellt die ifm-IT dem Business heute bereits Low- bzw. No-Code-Plattformen zur Verfügung oder werden diese durch das Business selbst organisiert?

Haury: Leider gibt es bei uns beides. Wir stellen Microsoft Power-Apps kontrolliert zur Verfügung, aber auf der anderen Seite sagt uns jemand aus dem Business schon mal, dass er etwas aus der Cloud heruntergeladen habe und er das jetzt bitte schön integriert haben möchte. Wir versuchen das über den klassischen Demand-Prozess abzufangen, das funktioniert aber nicht immer. Solche Situationen würde es natürlich bei End-to-End Teams nicht mehr geben. Aber da sehe ich die Schwierigkeit, den sauberen Produktschnitt zu finden. Wenn sich die Teams nach Applikationen organisieren, bleiben oft angrenzende Services links liegen, um die sich kein dezidiertes Team kümmern mag oder die zu klein für ein eigenes Team sind.

Heinevetter: Wie weit soll Ihrer Meinung nach das Citizen Development gehen? Soll sich das auf Kernanwendungen ausdehnen?

Haury: Das sehe ich kurz- und mittelfristig noch nicht. Unsere Enterprise Applikationen werden weltweit in der ifm-Gruppe genutzt. Ich sehe Citizen Development eher vom Arbeitsplatz über die Work Groups und Abteilungen wachsen. Da liegt auch die Chance für die IT. Wir lernen die Leute im Business, die IT affin sind, kennen und können sie stärker einbinden. Das gilt genauso umgekehrt. Wenn ein intensiverer Austausch zwischen Business und IT stattfindet, lernen die ITler auch jede Menge über das Business.

Heinevetter: Sie haben erwähnt, dass das Business verstärkt Leute mit IT-Skills einstellt. Wächst damit nicht auch das übergreifende Verständnis für IT?

Haury: Das Skill-Set ist das eine, Prozessverantwortung das andere. Letztere bekomme ich nur, wenn ich aus IT und Business zusammengesetzte Teams habe.

Heinevetter: Sehr viele Unternehmen befassen sich zurzeit mit der Frage, wie sie sich am besten produktorientiert aufstellen. Dabei drängen sich vor allem zwei Fragen auf. Wie weit sollen die Teams jeweils in Business und IT hineinreichen? Reicht der Product Owner aus dem Business für das gemeinsame Team oder sollen auch die Prozessspezialisten des Fachbereichs mit hinein? Auf der anderen Seite ist die Frage, ob die IT-Infrastruktur ebenfalls Aufgabe der Teams ist.  Die andere wesentliche Frage ist die nach den Erfolgsfaktoren für Produktteams.

Haury: Wir haben gerade ein Pilotteam aufgesetzt, das sich darum kümmert, das Rechnungswesen mit SAP aufzubauen. Das besetzen wir fast pari pari. Von der Businessseite sind es die klassischen Key-User und der Prozessverantwortliche wird zum Product Owner. Von der IT-Seite kommen die Consultants, die Applikationsmanager. Die Frage, ob das Team auch einen eigenen Entwickler benötigt, bzw. ob er damit ausgelastet ist, ist noch offen. Wie wir den Schnitt machen, ist zurzeit noch eine Herausforderung. Orientieren wir uns rein an den Rechnungswesen-Prozessoren oder an den eingesetzten IT-Produkten.

Heinevetter: Es gibt nicht die eine Wahrheit und es macht Sinn, jeden Fall einzeln zu betrachten. Wichtig ist, dass man beim Produktgedanken bleibt. Dabei ist es zweitrangig, ob man sich auf das IT-Produkt oder das Kundenprodukt/Service konzentriert. Wie groß ist denn das Team?

Haury: Insgesamt acht Personen. Inklusive Product Owner kommen fünf aus dem Business und drei aus der IT.

Heinevetter: Und die Erfolgsfaktoren?

Haury: Augenhöhe zwischen IT und Business ist sehr wichtig. Außerdem brauchen die Gruppen ein gemeinsames Budget und komplette Transparenz.

Heinevetter: Wie kommt das Pilotteam im Unternehmen an?

Haury: Bei denen, die diese Art zu arbeiten kennen, sehr positiv. Aber es gibt natürlich auch Skeptiker, zum Beispiel in den klassischen Unternehmensbereichen. Die fürchten, dass Ihnen Steuerung und Kontrolle entgleiten.

Heinevetter: Wie sehen Sie in Zusammenhang mit produktorientierten End-to-End Teams das Demand Management?

Haury: Ich glaube, dass es teamübergreifend auch längerfristig nicht seine Berechtigung verliert, um den Bedarf zu klassifizieren und in die richtigen Bahnen zu lenken.

Heinevetter: Ebenfalls potenziell problematisch kann es sein, den Teams ausreichende und vom Skillset her passende Personalressourcen zu geben. Haben Sie sich dazu schon Gedanken gemacht?

Haury: Ich kann nicht jedem Team jeden Spezialisten geben, den es vielleicht irgendwann einmal braucht. Es wird immer Querschnittsthemen geben wie Security. Solche Skills würden in Querschnittteams vorgehalten, die dann bei Bedarf die Produktteams unterstützen. Auf der anderen Seite werden die Fähigkeiten in den Produktteams breiter werden, einfach weil die Leute dazu lernen, die als Applikationsmanager oder Prozessspezialist hineinkommen.

Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau

Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau

Heinevetter: Themenwechsel. Datengetriebene Organisation. Wie haben Sie geplant, sich zu organisieren? Zentral – im Extrem mit einem eigenen Chief Data Officer? Oder dezentral, so dass – auch wieder extrem gedacht – in jedem Produktteam Daten Know-how vorhanden sein muss?

Haury: Wir sind dabei das zu klären. Klassisch ist das Controlling bei uns die Hüterin der Daten, der Data Governance und der Datenqualität. Aber natürlich interessieren sich auch Business und IT dafür, ihre Aspekte des Data Driven aktiv zu besetzen. Klar ist, dass es neue Zuständigkeiten und Rollenbilder geben wird. Wir haben noch nicht final entschieden, wie wir das angehen werden.

Heinevetter: Aus unserer Sicht gliedert sich der Komplex Daten in vier Bereiche: Data Governance, Data Management, Data Analytics/Data Science und Data Infrastructure. In welchem dieser Bereiche wird die IT künftig eine signifikante Rolle spielen?

Haury: Wir sehen eine unserer Stärken sicher im Bereich Bereitstellung der Daten, also in ihrer Lesart Data Infrastructure. Das Thema Data Science sehe ich mittelfristig im Business. Data Governance wird wahrscheinlich ebenfalls die IT übernehmen.

Heinevetter: Wo sehen Sie in den vier Datenbereiche die größten Herausforderungen für die ifm?

Haury: Im Moment im Bereitstellen der Plattform, weil das für uns Neuland ist. Wir integrieren gerade drei Data Warehouse in einen Data Lake, in den wir auch externe Daten einsteuern möchten.

Heinevetter: Transformation ist ein großer Begriff, aber er beschreibt die Veränderung einer Organisation auf dem Weg Richtung Produktorientierung und Data Driven Organisation. Welche Faktoren machen eine solche Transformation erfolgreich? Was würden Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen raten?

Haury: Kleine Schritte zu gehen, Trial und Error, weil das für viele von uns Neuland ist. Es bedeutet jede Menge Veränderung, die man bereit sein muss, anzunehmen. Ebenfalls sehr wichtig finde ich, dass man ein Übergangszenario entwickelt, in dem man noch klassisch arbeitende Mitarbeitende, aber eben auch schon neue Teams hat. Die vorauseilenden Teams müssen bereit sein, ihre Erfahrungen zu teilen und die später folgenden müssen bereit sein, sie anzunehmen und für sich zu nutzen. Am Anfang wird es garantiert knirschen.

Heinevetter: Sollte das gleichzeitig mit dem Business angegangen werden oder zuerst die IT und dann das Business?

Haury: Gleichzeitig. Ich glaube, das geht nur gemeinsam, vor allem weil wir noch nicht in allen Details wissen, was bestimmte Veränderungen bedeuten. Was passiert zum Beispiel, wenn IT und Business tatsächlich die Leute in die Gruppen entlassen? Wie wirkt sich das auf die Führung aus, wie auf die Mitarbeitenden etc.? Das kann man nicht einfach dem anderen Bereich überstülpen. Das muss man gemeinsam angehen.

Heinevetter: Welches sind im Sinne unseres Interviews in den nächsten Monaten Ihre wichtigsten drei Handlungsfelder?

Haury: Alle Betroffenen auf diesen Change vorzubereiten und ein gemeinsames Verständnis entwickeln, ist das Erste. Das ist mehr als ein neues Organigramm, es ist eine neue Art zu arbeiten. Zweitens: Aufbauen und Einsteuern der Querschnittsthemen wie Security, Architektur, Governance, Compliance. Das dritte Feld ist sicher das Thema Daten und aus unserer Sicht geht es vor allem um die Bereitstellung der Daten auf einer Daten-Plattform.

Martin Haury ist als Global Head IT Business Services der ifm group services gmbh, für die Erbringung der weltweiten IT Leistungen innerhalb der ifm Unternehmensgruppe, mit Sitz in Essen, tätig. Die ifm-Unternehmensgruppe ist ein globaler Branchenführer für innovative Sensoren, Steuerungen und Systeme für die industrielle Automatisierung und Digitalisierung.

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