IT ORGANISATION 2025 INTERVIEW MIT DR. WOLFGANG STANDHAFT CIO @ FRAPORT

„Business und IT Symbiose – Hürden im Kopf abgebaut, aber Abrisskanten vermieden“

Die IT wird demokratischer – und die Zusammenarbeit mit dem Business enger, dessen ist sich Dr. Wolfgang Standhaft, Senior Executive Vice President und CIO der Fraport AG, sicher. Im Gespräch mit Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der Managementberatung kobaltblau, erklärt er die Gründe und die Vorteile für Unternehmen.

Dr. Wolfgang Standhaft, Senior Executive Vice President und CIO der Fraport AG

Thomas Heinevetter: Wie positioniert sich die IT bei Fraport für die Zukunft und für eine optimale Zusammenarbeit mit dem Business?

Dr. Wolfgang Standhaft: Die bislang hierarchische geprägte IT soll neu aufgestellt werden. Dazu gibt es vier Handlungsfelder. Auf der einen Seite schulen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intensiv und positionieren sie mehr crossfunktional und näher am Business. Außerdem wollen wir eine ´open-minded-Kultur´ etablieren. Der vierte Punkt betrifft die IT-Strategie selbst: Die Systeme sind zwar heute performant, können aber weiterhin optimiert und erneuert werden.

Heinevetter: Gibt es schon konkrete Initiativen?

Dr. Standhaft: Wir wollen sogenannte BizDevOps Teams aufbauen: Organisationen, in denen Teile von Bereichen – beispielsweise Operations oder Reporting – räumlich mit dem Konsumenten der Leistung zusammengeführt werden. Das heißt: Das Team aus dem Bereich Aviation, das das Vorfeld mit den Flugzeugen, aber auch die Terminals betreibt, trifft sich regelmäßig mit den IT-Spezialisten für Aviation-Systeme oder den IT-Spezialisten für operatives Reporting. Der Zweck: Durch die engere Kooperation lassen sich schnellere, agilere Projektvorgehensweisen und Projektmethoden im täglichen Doing stärker verankern. Dadurch werden Alltagsgeschäft, Sprints in agilen Projekten und auch das Miteinander räumlich zusammengefasst und die Zusammenarbeit über den klassischen Schreibtisch hinweg verbessert. Und wir haben eine ´Digitalfabrik´ aufgesetzt. Sie ist außerhalb der IT angesiedelt, arbeitet aber mit ihr zusammen. Ihr Fokus: Die Suche nach möglichen Lösungen von Start-ups aber auch innovativen Corporates.

Heinevetter: Also eine Tendenz zur Verschmelzung von IT und Business?

Dr. Standhaft: Zunächst sollen Hürden im Kopf abgebaut, aber Abrisskanten vermieden werden. Die im BizDevOps Team integrierten IT-Teams bleiben Bestandteil der Konzern-, der Unternehmens-IT.  Für mich ist es wichtig, dass man in dieser Phase ein gutes Orientierungsvermögen hat und ein Gefühl dafür entwickelt, was IT in ihrer Gänze bedeutet und wo sie welchen Zweck im Geschäftsprozess erfüllen kann.

Heinevetter: Was spricht eher für virtuelle Teams?

Dr. Standhaft: Dafür spricht das breite Spektrum der Geschäftsfelder. Als Flughafenbetreiber ist Fraport nicht nur für den sicheren Betrieb des Vorfelds sowie der Terminals zuständig, sondern das Unternehmen ist darüber hinaus auch Abfertigungsdienstleister, Retail-Betreiber, Parkraumbewirtschafter, Immobiliengesellschaft und Instandhalter der gesamten Infrastruktur. Am Standort Frankfurt beschäftigt der Fraport-Konzern etwa 20.000 Mitarbeitende. Zu den Tätigkeiten gehören beispielsweise auch die Instandhaltung von Aufzügen, Rolltreppen, automatische Schließungen, Sicherheitskontrollen und Parkhäuser. Dieses Konglomerat an Aufgaben erfordert multidimensionales Herangehen.

Heinevetter: Wann sind virtuelle Teams die erste Wahl?

Dr. Standhaft: Im Aviation-Bereich ist das Modell virtueller Teams gut angesiedelt. Wir testen aber auch weitere Modelle. Dabei spielt auch das Konzept des ´flexiblen Office´ eine Rolle: Ohne feste Arbeitsplätze in einer offenen Büroumgebung. Damit lassen sich in bestimmten Bereichen Business und IT auch räumlich noch enger und einfacher zusammenbringen.

Heinevetter: Bietet sich eine Verschmelzung nicht vorrangig bei Querschnitts-Prozessen an?

Dr. Standhaft: Vor der Pandemie wollten wir in den Backoffice-Prozessen anfangen. Allerdings haben alle Bereiche durch Corona gelitten, auch die operativen Bereiche. Deshalb fangen wir jetzt da an, wo der größte Nutzen generiert wird, um Fraport nach der Krise wieder aufleben zu lassen: im Operations-Bereich.

Heinevetter: An welchem Punkt der Reise sind Sie?

Dr. Standhaft: Ein größeres Programm beschäftigt sich mit unserer Reise in die Cloud. Wir stellen als eines der ersten betriebskritischen Systeme in der Reporting-Landschaft eine große, teilweise selbstentwickelte und on premise-betriebene Landschaft auf Cloud um. Der Rollout von Microsoft 365 setzt weitere Leitplanken. Das schließt aber auch explizit andere Komponenten ein: Die Datentöpfe der verschiedenen Bereiche werden herausgelöst, konsistent, homogen. Und jeder Berechtigte kann darauf zugreifen. Gesteuert wird dieser Prozess durch eine Daten- und Analytics-Strategie.

Heinevetter: Löst das auch die Probleme mit Schatten-IT oder auch mit Citizen Developern in Business-Bereichen?

Dr. Standhaft: Die ´Citizen Developer´ von heute sind die Excel-Spezialisten von früher. Die gab und gibt es immer. Mit der Cloudifizierung, der Verlagerung der Datentöpfe, stellen wir jedoch sicher, dass die Citizen Developer, also die Ex-Excel-Entwickler, auf diese zuzugreifen. Unter unserer Guidance und Schulung können sie dann ihre Lösungen aufbauen – unter Einhaltung der IT-Governance. Voraussetzung ist, dass angehende ambitionierte Experten die richtigen Schulungen erhalten und zertifiziert sind. Das erhöht die Demokratisierung und die Freiheitsgrade in den Fachbereichen. Hierzu haben wir im Rahmen der Daten- und Analytics-Strategie eine Data-Governance verabschiedet und setzen ein Data-Literacy Projekt um.

Heinevetter: Das zukünftige Team der Citizen Developer kann damit nicht irgendwann die Application-Team-Verantwortung ersetzen?

Dr. Standhaft: Nein. Wir befähigen damit das Business und geben gleichzeitig Guidance in Richtung Governance. Unsere Erfahrung: Die besten Ergebnisse erzielen wir mit kleinen Expertenteams, die in der IT beheimatet sind. Sie sind nicht nur für Governance zuständig, sondern treiben auch Leuchtturmprojekte nach vorne, beispielsweise im Bereich der Automatisierung der Prozesse und der Künstlichen Intelligenz.

Heinevetter: Können Sie ein Beispiel nennen?

Dr. Standhaft: Wir haben ein System entwickelt und live geschaltet, das den ersten Platz beim Innovationswettbewerb der Vereinigung der weltweiten Flughäfen gewonnen hat. Es geht um die Korrektur falsch zugeordneter Gepäckstücke in kritischen Teilen der Gepäckförderanlage vom Schalter bis zum Flieger. Ein Team aus Gepäck-Spezialisten und IT-Entwicklern hat eine KI-Lösung realisiert, die eine Bildaufnahme jedes Gepäckstücks macht und diese vor der Zuordnung zum Flugzeug noch einmal vergleicht. Dadurch konnte die Anzahl der falsch zugeordneten Gepäckstücke um über neunzig Prozent gesenkt werden. Dieses Team ist gleichzeitig der Nukleus, an dem sich die weitere Interessierte orientieren können, die an vorkonfigurierten und vortrainierten ersten KI-Modellen ihre eigenen bereichsspezifischen Aufgaben lösen wollen.

Heinevetter: Definieren diese Expertenteams ihre eigenen Use Cases?

Dr. Standhaft: In diesem konkreten Beispiel kam der Use Case aus der Diskussion mit dem Fachbereich – nach dem Motto: Wo drückt euch der Schuh? Entsprechendes externes Wissen, Fachbereichswissen und IT-Wissen wurden dann verschmolzen. Dieses Vorgehen zahlt sich aus und wird akzeptiert: Die IT ist ein Stück weit präsent, zieht sich aber auch immer zurück. Sie gibt Rahmen und Hilfestellungen vor. Und wir lenken Schatten-IT in produktive Kanäle um.

Heinevetter: Wie sind Produktteams bei Fraport generell zusammengestellt?

Dr. Standhaft: Bei einer hierarchisch strukturierten Organisation bestehen die Produktteams aus einer festen Zuordnung von Produktverantwortlichem, Consultants, Developer und Delivery Manager, die für Einführung, Weiterentwicklung und Betrieb zuständig sind. Im Bereich der Anwendungsentwicklung soll dies nun flexibler werden: Diese vorher gebündelte Tätigkeit – der Produktverantwortliche ist gleichzeitig Führungskraft – wird in eine Matrixorganisation umgebaut. Sie umfasst ´People Manager´, die sich um die Weiterentwicklung der ihnen zugeordneten Gruppe an Mitarbeitenden kümmern und diese in die Produktteams „stafft“. Gleichzeitig können die People Manager über externe Partner weitere Kapazitäten in benötigten Skills für Projekte und Produktbetrieb bereitstellen.
Auf der anderen Seite beinhaltet sie die Produktmanager, die für die fachliche Weiterentwicklung der Produkte verantwortlich sind. In dieser Matrix der Anwendungsentwicklung müssen sich die Verantwortlichen bewegen, um für Projekte und Betrieb die entsprechende personelle Ausstattung hinzubekommen.
Als dritte Komponente steuert eine kleine Gruppe von Portfoliomanagern die Lösungslandschaft auf einer strategischen Ebene und priorisiert zusammen mit dem Business die Weiterentwicklung der Systemlandschaft.

Heinevetter: Die Produktmanager steuern somit Teams, die dann aus den People-Manager-Teams ihre Ressourcen zugeordnet bekommen?

Dr. Standhaft: Ja. Von der Wertigkeit sind sie gleichrangig angeordnet. Damit tragen wir der Stärke der einzelnen Mitarbeitenden Rechnung.  Auf der anderen Seite werden wir agiler und flexibler. Eine flexible Organisation hilft, die IT nicht mehr als Monolith innerhalb der Fraport zu betreiben, sondern erlaubt als IT-Broker die Einbindung von Outsourcing-Partnern im Bereich Infrastruktur-Management und von Projekt- und Betriebspartnern.

Heinevetter: Wie kommt das Modell an? Es orientiert sich doch am Spotify-Ansatz?

Dr. Standhaft: Es hat die Bodenhaftung eines Flughafenbetreibers. Bei Fraport gibt es keine Tribes, Squads, Chapters und Guilds – dafür das Projekt Flex-O mit dem Go-Livein diesem Jahr. In Assessments hat sich herauskristallisiert, welche Menschen aus der IT-Organisation sich eher in der People-Manager-Rolle und welche sich eher in der fachlichen Rolle eines Product Managers oder Portfolio Managers sehen.

Heinevetter: Wie weit würden Sie bei der Autonomie von Produktteams gehen? Wäre es für Sie wichtig, beispielsweise auch HR in ein Produktteam einzubeziehen?

Dr. Standhaft: Wir bewegen uns in einem stark regulierten Markt – vor allem im Operationsbereich. Das limitiert per se die Freiheitsgrade. Beim Verschmelzen von IT mit Backoffice-Funktionen werden wir aus IT-Sicht mehr Freiheitsgrade gewähren können. Ein Beispiel: Das gemeinsam durchgeführte Projekt Robotic Process Automation mit dem Rechnungswesen. Wir haben hier einen Projektleiter definiert, der aus dem Rechnungswesen kommt und gemeinsam mit einem Projektleiter aus der IT Entscheidungen auch auf das ihm zugeordnete Projektteam mit Fachbereichs-, externen- und eigenen IT-Mitgliedern übertragen kann.

Heinevetter: Wenn Produktteams morgen autark sind und ihren Product Manager haben, hat der klassische Demand-Manager dann noch eine Existenzberechtigung?

Dr. Standhaft: In einer flexiblen Organisation wird das Portfoliomanagement zusammen mit dem Produktmanagement auch die Demand-Funktion tragen. Priorisiert wird der Demand über das Digitalisierungsboard, das unter anderem mit mehreren Mitgliedern des Vorstands besetzt ist, aber auch von wesentlichen Geschäfts- und Servicebereichsleitern. Es stellt über Rückkopplungsschleifen sicher, das Mehrwert-generierender Demand umgesetzt wird.

Dr. Wolfgang Standhaft und Thomas Heinevetter

Dr. Wolfgang Standhaft und Thomas Heinevetter im Gespräch

Heinevetter: Wie gehen Sie künftig mit dem Thema Ressourcenmanagement um?

Dr. Standhaft: Neben der flexiblen Organisation zum Aufbrechen der alten Strukturen ist der Ansatz wichtig, Projekt- und Betriebspartner ins Boot zu holen. Hier wollen wir tendenziell weg von einer kleinteiligen Vergabe von Aufträgen zu einer breitbandigen Unterstützung – durch Technologie, Software, Methoden und auch Kenntnissen in neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz.

Heinevetter: Welchen Einfluss wird die Entwicklung zu einer datengetriebenen Organisation auf IT-Organisation und Unternehmen insgesamt haben?

Dr. Standhaft: Durch die Datentöpfe in der Cloud und ein befähigtes Business wird die IT-Organisation als Supervising-Organisation in der Mitte immer wieder die interne Diskussion und auch die Citizen Developer befeuern. Diese Datentöpfe, die Möglichkeiten von Datenanalyse und Technologien wie Visualisierung oder KI setzen voraus, dass die IT-Organisation ihre Fähigkeiten durch das stärkere Einbinden von externen Dienstleistern multiplizieren kann. Die IT spielt durch Daten-Governance und Bereitstellung der Tools und auch durch das zertifizierte Freigeben verschiedener Möglichkeiten eine immer wichtigere Rolle. Die IT der Zukunft: Sie gibt die Rahmen vor und stupst den Anwender an – und wenn es sein muss, führt ihn auch wieder auf den Pfad der Tugend zurück.

Heinevetter: Was sind Ihre Top-3-Handlungsfelder?

Dr. Standhaft: Das sind a) der Umbau der Organisation mit Fokus auf die Anwendungsentwicklung (Flex-O); b) je nach Bereich die Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Fachbereichen (BizDevOps) und c) muss die neue Organisation allen Fachbereichen und dem Top-Management demonstrieren, dass die transformierte IT eine wertschaffendere ist als die IT vor der Corona-Krise.

Dr. Wolfgang Standhaft hatte verschiedene Rollen in der Beratung und Schulung bei SAP mit Fokus auf Großkunden inne. Nachfolgend verantwortete er die europäischen IT-Systeme der REWE Gruppe, bevor er für mehr als ein Jahrzehnt die Verantwortung als globaler CIO bei Heidelberg Cement übernahm. Er integrierte Akquisitionen im Wert von mehreren Milliarden Euro, baute eine low-cost Shared-Service basierte IT-Organisation in mehr als 40 Ländern auf und unterstütze die Standardisierung von Prozessen. 2019 wechselte er als CIO zur Fraport AG. Seine Schwerpunkte sind die Transformation der IT-Organisation hin zu einem Enabler, das Treiben der Digitalisierung, u.a. mit KI, sowie der Umbau in ein datengetriebenes Unternehmen.

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