Agilität ist wichtiger als starre Strategien?

Agilität ist wichtiger als starre Strategien?

Umweltfreundliches Reisen liegt voll im Trend. Die DB Fernverkehr AG, Teil der Deutschen Bahn, bietet ihren Kunden genau das innerhalb Deutschlands und in die Nachbarländer. Strategischer Dreh- und Angelpunkt ist dabei das Thema IT, dazu hat kobaltblau die DB Fernverkehr beraten.

Am Ende sind es 14 Leitsätze und strategische Handlungsfelder geworden, die kobaltblau und die DB Fernverkehr gemeinsam erstellt haben. Sie kanalisieren die künftige strategische Ausrichtung. Auch die Maßnahmenidentifikation zur Umsetzung spielte dabei eine wesentliche Rolle. Bernd Rattey, CIO der DB Fernverkehr, spricht mit Thomas Weilhart von kobaltblau über dieses Projekt.

Die Deutsche Bahn ist Big Player unter den deutschen Mobilitätsanbietern. Inwieweit verändert die Digitalisierung den Markt und wie lauten die neuen Herausforderungen?

Im Mobilitätsmarkt geht es grundsätzlich um die Frage: Wie komme ich von A nach B? Das klingt trivial, doch Verkehrssysteme zu vernetzen ist unsere größte Herausforderung. Der Gast will möglichst bequem zu seinem Ziel gelangen. Integrierte Transportleistungen wie ioki von der Bahn sind daher künftig unumgänglich. Diese Elektrosammeltaxen befördern den Kunden auf den letzten Meilen genau an seinen Zielort. In Bad Birnbach testet die Bahn zudem einen selbstfahrenden Elektrobus.

Der Kunde rückt also in den Mittelpunkt?

Seit geraumer Zeit haben wir uns auf kundennahes Auftreten konzentriert. Ein Beispiel dafür ist der DB Navigator, eine App mit Buchungsmöglichkeiten und Echtzeit-Informationen über Pünktlichkeit und Wagenreihung. Es zählt nicht nur der Fahrkartenkauf, sondern die Vernetzung von Prozessen und IT-Systemen. Daher auch die aktuelle Relevanz von IT.

Hat IT den Stellenwert als maßgeblicher Unternehmenstreiber bereits erreicht?

Aus der Innensicht ist das schwer zu beurteilen, aber ich glaube, dass sich der interne Stellenwert von IT tat-sächlich verändert hat. Noch vor wenigen Jahren wurde mein Vorgänger daran gemessen, ob er das Kostenmanagement oder die Verfügbarkeit der IT-Services im Griff hat. Das waren wichtige KPIs für das Tagesgeschäft. Heute stehen andere Fragen im Fokus: Wie können wir die End-to-End-Prozesse unterstützen? Und um wieviel haben wir mit den bisherigen IT-Maß- nahmen die Kundenzufriedenheit verbessert? Das ist für meinen Bereich relevanter als zwei Prozent an Kosten einzusparen.

Abgesehen von operativen Prozessen, beeinflusst IT auch die strategische Ebene?

Wir haben mit den Vorständen und einem Bereichsleiter je Vorstandsressort das Digital Management Board eingerichtet, um uns regelmäßig in dieser Runde zu besprechen. Digitalisierung ist für mich das Produkt aus Prozess und IT.

Die Gesamtstrategie des Konzerns ist im Programm „Zukunft Bahn“ festgelegt. Dort geht es aber im Wesentlichen um Nicht-IT-Themen, wie beispielsweise Pünktlichkeit.

Das Qualitätsprogramm „Zukunft Bahn“ läuft seit einigen Jahren. Bei der Pünktlichkeit brauchen wir andere Geschäftsfelder des DB Konzerns für die Umsetzung – nur gemeinsam werden wir das schaffen. Ein Treiber für Pünktlichkeit ist beispielsweise das Thema Kapazität auf der Trasse. Hier macht eine intelligente IT das Schienennetz effizienter nutzbar.

Damit ist die Durchgängigkeit der Ziele von der Gesamt- über die IT-Strategie und die der einzelnen IT-Bereiche sichergestellt.

Genau. Wir haben bei DB Fernverkehr neben unserem Digital Management Board auch den sogenannten Performance-Dialog auf allen Hierarchieebenen. Dort reden wir nicht über eine IT-Lösung für die Personalplanung, sondern fragen beispielsweise: Wie ist die Kundenzufriedenheit mit dem WLAN und was ist hier noch zu optimieren? Die strategische Perspektive und deren Maßnahmen stehen im Fokus.

WLAN für Kunden ist ein Paradebeispiel für die Erweiterung bestehender Produkte um digitale Services. Was leistet Ihre IT-Strategie bei solchen agilen Vorhaben?

Ich glaube, dass starre Strategien im Sinne einer Fünfjahresplanung ausgedient haben. Heute sind Agilität und der Umgang damit entscheidend. Deshalb haben wir Leitsätze aufgestellt. Explizite Ziele wie Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit sind natürlich enthalten. Außer- dem ist der sogenannte „Purpose“ wichtig. Besonders IT-Mitarbeiter fühlten sich oft vernachlässigt. Die Erfolge hat das Marketing gefeiert, für die Misserfolge musste die IT antreten. Es ist wichtig, dem Einzelnen zu sagen: „Du bist ein wesentlicher Teil vom Gesamtergebnis, anstatt: Wir wollen in der Plattformökonomie eine führende Rolle einnehmen“.

Wie sieht Ihre persönliche Zeitplanung für die Umsetzung aus?

Wird es in absehbarer Zeit ein Review oder Update der Strategie geben? Wir müssen das, was wir aufgeschrieben haben, konsequent umsetzen. Ich werde mir unsere Strategie nicht im Halbjahrestakt ansehen, denn sonst fehlt die Zeit für die Umsetzung. Der Strategieprozess des gesamten Fernverkehrs findet jährlich statt, dementsprechend ist das unser Zeitrahmen.

Neben Tagesgeschäft und operativen Dingen bleibt oft wenig Zeit für strategische Projekte – wie bekommen Sie Strategie und deren Umsetzung unter einen Hut?

IT-Projekte sind nie nur mein Projekt, sondern geschehen immer gemeinsam mit dem Business. Die zeitliche Komponente ist oft ein Kampf, denn kaum jemand hat Zeit. Aber es lohnt sich: Wenn das Team einen Großteil der Arbeitszeit dem Projekt widmet, läuft es performanter, als wenn Mitarbeiter nur 10 bis 20 Prozent ihrer Zeit investieren. Außerdem haben wir Top-Projekte definiert, die unter besonderer Beobachtung durch den Vorstandstehen. Sie zahlen auf strategische Ziele ein. Dabei gibt es oftmals zwei Projektleiter, einen mit IT- und einen mit Business-Hintergrund. Bei der Definition der IT-Strategie sind wir anders vorgegangen: Wir haben versucht, die Leitsätze in einer basisdemokratischen Form zu erarbeiten. Deshalb stellten wir aus den Reihen der IT-Kollegen ein Freiwilligenteam mit großer Diversität zusammen. Da können die Kolleginnen und Kollegen nur mitmachen, wenn sie Zeit haben und sich nicht um das Tagesgeschäft kümmern müssen.

Würden Sie die Entwicklung der Strategie wieder mit einem großen basisdemokratischen Anteil gestalten?

Ja, definitiv! Wenn ich es schaffe, dass sich die Belegschaft in der IT-Strategie wiederfindet, dann fühlt sich das nahbarer an. Wichtig wird die Strategie immer, wenn wir neue Projektideen diskutieren. Dann verweise ich auf unsere 14 Leitsätze und frage: „Auf die Leitsätze eins, fünf und sieben zahlt eure Idee ein. Dafür gibt es aber auch diverse der 14 Leitsätze, mit denen die Idee im Widerspruch steht. Wie ist denn jetzt Euer weiteres Vorgehen?“ Das ist etwas Greifbares. Auch dort beziehen wir die Mitarbeiter ein.

Sie erwähnten bereits, dass Sie keinen Fünfjahresplan haben – können Sie trotzdem skizzieren, wo Sie im besten Fall mit Ihrem Projekt dann stehen?

Wir hatten früher zwei Basisfähigkeiten für jeden Manager: der Umgang mit Geld und der mit Menschen. Es wird eine dritte Kompetenz hinzukommen: nämlich die IT. In fünf Jahren wird die Organisation, so wie sie jetzt ist, nicht mehr bestehen – sie wird viel dezentraler sein. Es wird steuernde Elemente geben, aber das Grundverständnis, wie Business und IT zusammenarbeiten, wird sich stark entwickeln. Unsere Aufgabe ist es, die Organisation da hinzubringen. Deswegen haben wir in unseren 14 Leitsätzen Punkte wie das einheitliche Verständnis von IT festgehalten, denn es geht nichts mehr ohne sie.

Vielen Dank an Herrn Rattey für dieses Interview.

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